Mein Hannover – 

wohnungs- und obdachlose Menschen fotografieren ihre Stadt

Wichtige Exponate unserer erfolgreichen Wanderausstellung „Mein Hannover – wohnungs- und obdachlose Menschen fotografieren ihre Stadt“ wurden vom 1. bis 3. Mai in der Zeit von 11 Uhr bis 18 Uhr in der Evangelisch-reformierten Kirche in der Lavesallee 4 gezeigt.

 

Foto oben: mit Propst Wolfgang Semmet bei der Eröffnung der Ausstellung in der Evangelisch-reformierten Kirche.

Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung
Mein Hannover …

Am 2. Mai um 16.30 Uhr gab es eine Einführung in die Ausstellung:

 

Mein Hannover

 

Liebe Gemeindemitglieder, liebe Besucher des Kirchentages in Hannover, liebe Frau Pastorin Griemsmann,

ich freue mich und bedanke mich, dass ich in den Räumen der Evangelisch-Reformierten Kirche die Ausstellung „Mein Hannover, Menschen ohne Wohnung fotografieren ihre Stadt.“ zeigen darf.

Leider stehe ich alleine hier. Meine Frau hatte gestern einen Fahrradunfall und bedauert sehr, nicht dabei sein zu können. Wir sind Ärzte aus Hannover und Gründer der Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung. Seit mehr als 15 Jahren engagiert sich unsere Stiftung für wohnungs- und obdachlose Menschen in Hannover und der Region. Zusammen mit verschiedenen gemeinnützigen Partnern wie der Diakonie oder der Caritas bemühen wir uns, diesen oft übersehenen, geradezu unsichtbaren Mitgliedern unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Die Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund hat gesagt: „Wenn es den Kirchentag nicht gäbe, man müsste ihn genau jetzt erfinden.“ Und wenn man sich hier umschaut, sieht man sofort, was sie damit meinte. In diesen schwierigen Zeiten, in denen Unsicherheit und Zukunftssorgen dazu führen, dass sich jeder vor allem auf sich selbst besinnt, braucht es dringend Ereignisse, die Gemeinschaft stiften. Der Kirchentag ist eine der größten zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen hier in Deutschland und bringt so viele Menschen zusammen, wie das sonst allerhöchstens eine Fußball-WM vermag!

Mit dem Unterschied, dass hier alle mitmachen können, nicht nur die Spieler auf dem Feld! Der Kirchentag gibt uns Gelegenheit zu sehen, wie viele von uns tatsächlich bereit sind, an einer besseren Gesellschaft zu arbeiten, ihre Zeit und Kraft investieren wollen und den zersetzenden Einflüssen durch Hass und Gewalt etwas entgegensetzen möchten. Aus diesem Grund finden wir das diesjährige Motto auch so treffend: „mutig – beherzt – stark.“

Wir würden noch gerne ein Attribut hinzufügen, ohne das ein gesunder gesellschaftlicher Zusammenhalt aus unserer Sicht nicht möglich ist: „zugewandt“. Ohne die Aufmerksamkeit, ohne das aufrichtige Interesse am Wohlergehen des anderen, können Mut, Stärke und beherzte Tatkraft leicht ins Leere laufen. Wir finden, dass Zugewandtheit noch immer eine unterschätzte Eigenschaft ist – aber eine, die sich lernen lässt!

Oft reicht da schon ein kleiner Perspektivwechsel. Ein ungewohnter Blick auf die Welt, der einem zeigt, dass die Annehmlichkeiten unseres Alltags keine Selbstverständlichkeit sind. Einen solchen, sehr persönlichen Einblick in eine andere Lebenswelt haben wir im Rahmen eines ganz tollen Projektes gewinnen können, das wir 2017 zusammen mit dem Diakonischen Werk und der Landeshauptstadt Hannover durchgeführt haben und dessen Ergebnisse Sie heute hier – auszugsweise – sehen.

Wir haben damals obdach- und wohnungslose Menschen darum gebeten, uns „ihr Hannover“ zu zeigen „ihren Kiez“. Dafür hat die Fa. Rossmann 100 Einwegkameras gespendet, die wir den Gästen von Tagestreff Kontaktladen Mecki am Raschplatz gegeben haben. Als Lohn für jede zurückgegebene Kamera erhielten die Straßenfotografinnen und -fotografen einen Warengutschein im Werte von 40 Euro. Am Ende sind 1.716 Fotos bei uns zurückgekommen, von denen 350 für die Wanderausstellung „Mein Hannover – Menschen ohne Wohnung fotografieren ihre Stadt“ ausgewählt und anschließend in verschiedenen öffentlichen Einrichtungen gezeigt wurden.

Wie Sie sehen, sind sehr eindrückliche Schnappschüsse darunter. Manche bedrücken, andere regen zum Schmunzeln oder gar Lachen an. Wir selbst waren von dem Ergebnis und der positiven Resonanz von Seiten unserer „Straßenfotografen“ begeistert, denen es gefallen hat, ihre Lebensrealität so öffentlichkeitswirksam präsentiert zu sehen. Im Alltag erleben sie nämlich oft das genaue Gegenteil – Desinteresse und ein beschämtes Wegschauen.

Und solche Reaktionen färben natürlich auch auf die Selbstwahrnehmung ab. Man schämt sich, versteckt sich, macht sich unsichtbar. Man hält sich im Hintergrund und sondert sich immer mehr ab von der Gemeinschaft, vernachlässigt seine mentale und körperliche Gesundheit. Am Ende bleibt von einem Menschen, zu dem das Leben nicht allzu nett war, nur eine kurze, bedauernde Zeitungsnotiz, wie wir sie im vergangenen Jahr häufiger lesen mussten. Diesen Teufelskreis gilt es mutig zu durchbrechen, damit wir als Gesellschaft wirklich zusammenwachsen können.

Im letzten Jahr haben wir 75 Jahre Grundgesetz gefeiert. Im Artikel 1 heißt es „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Sozialphilosoph Oskar Negt stellte im September 2017 anlässlich einer Benefizveranstaltung der Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung die Frage: „Was ist die Würde eines Obdachlosen? Was wäre erforderlich, damit auch für ihn jenes Freiheitselement spürbar ist, ohne das von Würde sinnvoll nicht geredet werden kann? … Wer kein Dach über dem Kopf hat, wer keinen Ort findet, der ihm eine verlässliche Herberge ist, dem wird gleichsam das Wohnrecht auf Erden genommen“.

Das Grundgesetz ist Ausdruck eines Wertekanons, der unsere Gesellschaft eint, so Joachim Gauck im Geleitwort 2013, und ein Zusammenleben in Freiheit, Frieden und Wohlstand erlaubt.

Das ist leider, wie wir täglich sehen und hören, für viele Menschen eine Utopie. Kämpfen wir dafür, dass es Realität wird – für alle Menschen!

Ein erster Schritt ist getan, wenn man endlich aufmerksam hinsieht – aber natürlich ist das nicht genug. Es gibt zahlreiche Ansätze, Projekte, Initiativen, die es sich zur Aufgabe machen, die Situation von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Hannover zu verbessern oder ihnen Wege aus der Obdachlosigkeit aufzeigen. Die Stadt Hannover will bis zum Jahr 2030 die Obdachlosigkeit beseitigen, ein wahrhaft ambitioniertes Ziel.

Ich wünsche Ihnen, ja auch Vergnügen beim Betrachten der Bilder und freue mich, Sie auf der einen oder anderen Veranstaltung im Rahmen des Kirchentags wiederzusehen!

Bleiben Sie wohltätig, bleiben Sie zugewandt!

Wenn Sie mehr über die Arbeit unserer Stiftung erfahren möchten, sprechen Sie mich gerne an!

Ich bedanke mich für ihr Interesse!

Ihr
Udo Niedergerke

Ausstellung „Mein Hannover …“
Mein Hannover – wohnungs- undobdachlose Menschen fotografieren ihre Stadt